Ich habe drei Blogeinträge geplant:
1.
Besuch bei und Gespräch mit Bondora
2.
Reisebericht Tallinn
3.
Mein Eindruck von Estland aus Investorsicht
Bondora hatte uns, also mich und meine Frau die ebenfalls
bei Bondora investiert ist, in der Woche vor Ostern zu einem Investorgespräch
eingeladen. Vermutlich weil ich immer sehr viele Fragen stelle. Und nicht wenig
investiert habe und eine ziemlich gute Performance erziele.
Ja, draußen war es kalt.
Gesprochen habe ich hauptsächlich mit Matt vom
Investorrelation, mit einem IT-Spezialisten und am Ende mit einem Datenanalyst.
Natürlich gab es eine Büroführung, aber dazu kennt ihr wahrscheinlich das Video
von AktienMitKopf (
https://www.youtube.com/watch?v=8CUBwlBrEMQ)
Wir sind mit dem Bus zu Bondora gefahren. Das Büro ist in einem Startup-Towers im Süden von Tallin zu finden, in 15 Minuten und etwas Fußweg. Bondoras
Büroräume sind im 3. Stock, es gibt einen Servicebereich (Kundenbetreuung) und
einen Entwicklungsbereich.
Ich hatte einige Fragen mitgebracht und weitere ergaben sich
im Gespräch. Die Atmosphäre war sehr freundlich, offen und konstruktiv. Ich
hatte den Eindruck man versuchte mir ehrlich zu antworten.
Aktueller Stand und Pläne
Bondora hat nun etwa 50 Mitarbeiter. Das möchte man nun
stabil halten. Ein neues Produkt (go&grow) ist gerade in der Test- und
Optimierungsphase, es handelt sich um so etwas ähnliches wie einen Bond mit
einer Verzinsung im oberen einstelligen Bereich, steuerlich attraktiver, ich weiß
allerdings weder ob der Zinssatz fest noch ob er garantiert sein wird. Ich habe
darauf hingewiesen, dass es bei ablrate ein ähnliches Produkt gibt und dass man
aus Anlegersicht auf Liquidität achten solle. Mittelfristig arbeitet man an
einer Banklizenz. Weitere neue Produkte sind gerade nicht in der Planung, auch
keine Expansion in weitere Länder. Insbesondere ist auch nicht angedacht,
Bondora zu verkaufen. Finde ich gut so.
Nachfrage an Krediten und verfügbares Geld
Laut Statistik sind gut 120 Mio Kapital verliehen, wenn ich
mich richtig erinnere nannte Matt eine deutlich höhere Zahl an Anlegergeldern.
Es gibt institutionelle Anleger, diese machen allerdings nur etwa 5% der
Anlegegelder aus. Das möchte man auch gerne in diesem Verhältnis lassen, man
sucht also nicht aktiv nach weiteren Großinvestoren. Grund dafür ist u.a. das
ein Abzug sehr großer Summen innerhalb kurzer Zeit dann ein großes Problem
werden könnte.
Wie jeder Anleger weiß, macht Bondora viel Werbung wir
sollen doch Freunde als Anleger werben. Andererseits bekommt man ja längst
nicht jede gebotene Summe auch investiert. Für mich ein gewisser Widerspruch,
der auch nicht ganz aufgelöst werden konnte. Einerseits ist das Verhältnis
Angebot-Nachfrage im Moment ganz ok, zum anderen könnte man deutlich mehr
Kreditnachfrage befriedigen, falls mehr regelmäßiges Anlegerkapital verfügbar
wäre (die Rede war hier von ca. 3Mio/Monat die man ohne große Anstrengung akquirieren
könnte).
Warum werden Angebote auf dem Zweitmarkt sofort durch PM aufgekauft (current, zu
par)? Man möchte die Liquidität sichern, das ist für viele Anleger wichtig. Und
ich glaube in der Summe für die Käufer auch kein schlechtes Geschäft, auch wenn
ich manche Kredite nicht kaufen würde.
Anregungen von mir: Ein Erstmarkt, bei dem zumindest manche
Kredite wieder wirklich sichtbar wären, wäre hilfreich und im Sinne von
people2people.Ich würde die Werbeprämie in jeweils 2,5% aufteilen, dann wäre
auch der Anreiz für Erstinvestitionen höher. Und natürlich – immer wieder im
Gespräch – die Bitte um mehr Transparenz, mehr Erklärungen warum manche
Änderungen erfolgen etc.
Die Technik hinter dem Ganzen
Das Gespräch mit dem Entwickler war sehr interessant. Mich
hat zunächst beeindruckt, dass er bei praktisch allen angesprochenen Problemen
sofort wusste, was ich meine. Es leuchtet ein, dass gewisse Implementierungen
Zeit brauchen und ich fand es ein gutes Zeichen, dass man sie wenigstens auf
dem Schirm hat und daran arbeitet. Programmiert wird in .net, nach der Technik
zu fragen habe ich vergessen.
Das API funktioniert im Wesentlichen ganz gut und man wird
ASAP eine einfache Statusseite einrichten, auf der zumindest zu erkennen ist ob
gerade eine Wartung durchgeführt oder ein momentanes Hängen vorliegt. Ich habe
angeregt, noch einen Endpoint für den accountStatement zu schaffen und ein paar
zusätzliche Datenfelder unter Investments. Für mich wichtig wären DateOfDefault
und Markup, falls der Anteil zum Verkauf steht.
Die Sache mit den Centbeträgen ist im Moment nicht optimal
gelöst, man ist da mitten in einer Umstellung. Dann werden,wie z.B. bei Mintos
üblich, auch Centbruchteile gebucht. Das gilt für Rückzahlungen und collection
fees.
Die collection fees werden tatsächlich pauschal nach dem
Gießkannenprinzip erhoben. DCAs sind inzwischen schon wieder Geschichte, aber
es ist nachvollziehbar, das Bondora nicht profitabel arbeiten kann, wenn man
all die Gerichtsgebühren etc. selbst trägt oder vorstreckt. Auch die
Kreditnehmer werden natürlich an den Kosten beteiligt, soweit das gesetzlich
möglich ist. Gerade in diesem Bereich habe ich mehr Transparenz angemahnt.
Insgesamt ist man sehr optimistisch, dass sich die Recoveryquote mittelfristig
deutlich verbessert. Schaun wir mal. So wirklich schlecht ist Bondora bei
meinen Krediten schon jetzt nicht, aber mehr wäre auf jeden Fall besser.
Beim Rating setzt man stark auf die Lernkurve, wodurch sich
dieses beständig verbessern sollte. Man sieht sich die Entwicklung zwischen Ist
und Soll monatlich an, die notwendigen Anpassungen sind allerdings deutlich weniger
geworden. Inzwischen geht die Verarbeitung weitestgehend automatisiert während
man früher manuell nachsteuerte.
Meine Frage, wie das überhaupt geht, innerhalb von Minuten
eine sinnvolle Kreditentscheidung zu treffen ergab eine sehr interessante
Antwort. Abgesehen davon, dass man hunderte von Kriterien in die Bewertung
einfließen lässt (z.B. benutztes Endgerät, Verhalten während des
Beantragungsprozess…) kommt man in Estland sehr einfach an die Daten über den
potentiellen Kreditnehmer: ist alles auf der Chipkarte des Personalsausweises
gespeichert. Alles. Kreditgeschichte, Gesundheitsgeschichte, Bankverbindungen,
Kontostände, Steuerdaten. Unglaublich. Mit dem Ding kann man weltweit wählen,
Geld überweisen, zum Arzt gehen, Paybackpunkte sammeln… da steht mehr über dich
drin als in facebook. Und die Esten sind sehr stolz auf ihr IT-System. Kann man
jetzt so oder so sehen, aber Bondora hilft das natürlich. Das ist auch ein
Grund dafür, warum das Rating in Estland so gut funktioniert und warum man
nicht ohne weiteres in weitere Länder expandieren kann.
Auch kriminelle Fälle versucht man auf diese Weise zu
minimieren. Man kann sich z.B. vorstellen, dass kriminelle Individuen sehr
zielstrebig durch den Antrag gehen oder so. Im Zweifelsfall vergibt man eher
keinen Kredit, in Spanien kommen inzwischen z.B. nur noch ein Promille der
Antragsteller ohne Kreditvorgeschichte überhaupt und nur mit kleinen Summen zum
Zug.
Scoring und Pricing
Bondora hat ja den Anspruch, für beide Seiten faire
Zinssätze anzubieten. Das war nicht immer so – eine Zeitlang gab es z.B.
pauschal 28% (goldene Zeiten bis zur unweigerlichen Geldschwemme mit langen
Warteschlangen für die Anleger). Aus den Daten der Vergangenheit hat man nun
viele statisch-mathematische Modelle gebildet.
Sehr wichtig sind die
Wahrscheinlichkeit, dass ein Kredit bereits ausfällt ohne je eine Rate bezahlt
zu haben, die Ausfallwahrscheinlichkeit im ersten Jahr und das erwartete
recovery nach einem Ausfall. Daraus versucht man ein Modell für die
Rückzahlsumme während der Laufzeit zu bilden. Diese im Mittel erwirtschaftete
Summe soll nun für den Kreditgeber die Rückzahlung plus Rendite ergeben, bei
einem AA- Kredit z.B. 8% pro Jahr, bei den schlechteren Bonitäten etwas mehr
(dazu steht ja einiges im Bondora Blog). Klingt alles ziemlich plausibel.
Meine Frage nun, warum es keine HHR-Kredite in ES mit
200%+-Zinsen und keine estnischen HR und F-Kredite mehr gibt. Antwort: Bondora
hat gelernt (naja, dass müssen ihnen die Computer sagen. Haben viele von uns ja
schon seit Jahren so gesehen) dass dies keine so gute Idee war. Sehr hoch verzinste
Kredite führen zu einer Negativselektion der betroffenen Kunden. D.h. die die
ernsthafte Zahlungsabsichten und ein bisschen Grips im Kopf haben, merken
schnell, dass sie sich einen solchen Kredit in der Regel nicht leisten können.
Die anderen, naiver oder weniger ehrlich, greifen zu. Höhere Ausfälle, noch
höhere erforderliche Zinssätze, Eskalationsspirale.
Gute Entscheidung.
Steuern
Hatte ich zunächst ganz vergessen. Über Steuern in Deutschland haben wir auch ausführlich gesprochen. Über den aktuellen Stand, wo man Verluste nicht gegenrechnen kann. Über die drohende Veränderung, dass die Abgeltungsstuer durch den persönlichen Spitzensteuersatz ersetzt werden wird. Und über den unbrauchbaren TAX-Report von Bondora, der Zweitmarktgewinne ausweist, die keine sind. Solange man den mit Rabatt gekauften Kreditanteil nicht verkauft oder mehr als der Kaufpreis getilgt hat. Eine korrekte Implementierung habe ich dargelegt, auch wenn wir uns einig waren, dass diese schwierig werden wird. Da hat Bondora einiges zum Nachdenken.
Fazit
Das Gefühl „das haben wir doch schon lange gewusst“ verlässt
mich während des Gesprächs oft nicht. Aber nach vorne schauen. Die jetzige
Sichtweise deckt sich ziemlich mit meiner und das ist gut so. Ich sehe Bondora
gut aufgestellt mit einer klaren Linie, ernsthaftem Interesse für die Belange
der Anleger und insgesamt als sympathisches Unternehmen, das die Interessen
aller drei Gruppen (Anleger, Kreditnehmer, eigene) zusammenbringen will. Auch
das ist für mich wichtig. Jetzt noch ein bisschen mehr Offenheit und
Transparenz, dann kann ich auch mit langfristig sinkenden Renditen gut leben.