Wenn man in die Presse schaut, ist Deutschland Mitte Dezember 2024 nur sehr knapp der totalen Katastrophe entgangen. Um ein Haar wäre das Stromnetz zusammengebrochen, die KWh kostete über 1€, große Teile der Industrie waren lahmgelegt, kurz: DUNKELFLAUTE.
Dunkelflaute! Der Begriff hat gute Chancen, zum „Wort des Jahres 2025“ gewählt zu werden. Selbst in die englische Sprache hat es die deutsche Dunkelflaute schon geschafft, ähnlich wie etwa „Kindergarten“ oder „Rucksack“.
Und in kaum einer der kommenden Wahlkampfreden dürfte die Dunkelflaute fehlen, wenn es um die unterschiedlichen Vorstellungen der Parteien zur Bekämpfung des Klimawandels geht. Tagesspiegel, 21.12.24
In der Tat hatte die Stromproduktion in Deutschland am 12.12.24 mit extrem widrigen Bedingungen zu kämpfen: praktisch kein Wind und, wenig erstaunlich, wenig Sonne bzw. nach 17h zappenduster. So blieb an Erneuerbaren nur etwa 1GW Windstrom und 2,5GW Wasserkraft, außerdem rund 5GW Biomasse, die längst schon als Grundlastkraftwerke durchlaufen, übrig. Der durchschnittliche Verbrauch liegt aber über 55GW (genauer: ca. 45-70GW, je nach Wetter, Tageszeit und Wochentag). Die Kohlekraftwerke liefen auf voller Leistung, Gas- und sogar Ölkraftwerke trugen ihren Teil bei. (ca. 18GW/17GW/0,6GW). 550g CO2/kWh markieren einen traurigen Spitzenwert.
Hat aber längst nicht ausgereicht. So importierte D an diesem Tag zwischen 10 und 15GW Strom aus den Nachbarländern, wo die Strompreise wie bei uns auf den Höchstpreis seit zwei Jahren hochschnellten. Um 17h waren es dann über 900€/MWh (90ct/kWh), Großhandelspreis, vor Abgaben, Netzentgelten etc. Wehe dem, der einen variablen Stromtarif hatte!
So zogen einige sehr stromintensive Betriebe, u.a. ein Stahlwerk, die Reissleine und machten den Betrieb kurzzeitig dicht. Aus Kostengründen, nicht weil ihnen jemand den Strom abgestellt hatte. Die Preise sind ja mindestens 24h im Voraus bekannt, und die Stromversorgen senden in solchen Fällen eine Warnung zu. Nebenbei: nur knapp 20% des Stroms werden überhaupt über die Börse verkauft, der Rest läuft über meist sehr langlaufende Verträge zum Fixpreis.
Das Echo in den Medien war gigantisch. Über 4000 Artikel erschienen dazu in den nächsten Wochen (genauer waren es knapp 500, wenn man die Dupletten herausrechnet). bei nicht wenigen wurde vor extremen Blackouts gewarnt oder die Energiewende für gescheitert erklärt (insbesondere Springerpresse und Focus).
z.b: FAZ Welt Focus WiWo und viele mehr.
Nur wenige versuchten, sachlich Fakten darzustellen oder die Hintergründe zu beleuchten. Statt dessen wurde prognistiziert, dass uns "Schweden und Norwegen den Stromhahn" abdrehen wird, wir nur dank der französischen AKWs noch am Leben sind, bei der nächsen Dunkelflaufe reihenweise der Strom abgestellt würde etc.
Die kam übrigens über die Weihnachtsfeiertage, und keiner hat's gemerkt.
Tatsache ist, dass solche Extremsituationen natürlich absehbar sind. Im Winter ist es immer dunkel, kalt außerdem was den Stromverbrauch in die Höhe treibt, und mit Flautentagen ist auch zu rechnen. Zwar sind letztere selten so extrem, leider manchmal aber deutlich länger anhaltend. Und dann reicht das bisschen, was wir an Speicher aufbieten können, nicht annähernd.
Tatsache ist, dass man nicht alle konventionellen Kraftwerke (AKWs und Kohle) einfach abschalten kann, ohne eine neue Reservekapazität aufzubauen. Ob man da in letzter Zeit immer clever vorgegangen ist, kann durchaus in Frage gestellt werden. Dass das nicht kostenlos zu haben ist, steht auch außer Frage. Leider konnte die (nicht nur am Ende) völlig zerstrittene "Ampel" die entsprechenden Gaskraftwerke nicht auf den Weg bringen. 20-30Mrd Euro stehen als Baukosten im Raum.
Ist die Energiewende also gescheitert? Der Strom nachhaltig zu teuer? Müssen neue AKW her?
Die Zahlen sprechen eine ganz andere Sprache.
1. "Strom gibt es nur im Sommer, dann aber viel zu viel. Wir zahlen drauf, den loszuwerden und kaufen ihn später zu zehnfachen Preis zurück"
Richtig: jede Menge Solarstrom im Sommer um die Mittagszeit lässt die Strompreise deutlich purzeln. Davon profitieren aber alle. Am Ende ergibt sich ja eine Durchschnittskalkulation.
Deutschland hat 2024 rund 77TWh importiert, für rund 5,3Mrd. Macht knapp 69€/MWh. Im Schnitt lag 2024 der Preis pro MWh bei ca 82€. Das war also kein schlechter Deal. Exportiert haben wir rund 48.5TWh für 3Mrd. Preis im Schnitt 62€. Also gut 10% weniger. Das ist nun wirklich nicht die Welt.
Quelle: ach gut, sicher kein linksversifftes Nachrichtenblatt.
(Um sauber zu bleiben: da kommen noch einige Posten für abgeregelten Strom hinzu. Welch eine Verschwendung. Aber das wird der Markt in naher Zukunft regeln. Konzerne haben längst entdeckt, dass man mit Batteriespreicher gute Arbitragegeschäfte machen kann. Sie werden nur noch von der Bürokratie ausgebremst...)
Der meiste importierte Strom ist übrigens CO2 arm. Da ist sicher auch Atomstrom dabei. Aber längst nicht nur. Das meiste ist Wind- und Wasserstrom aus dem Norden.
2. "Jetzt kam es raus: bei Flaute müssen die Kohlekraftwerke für die Erneuerbaren einspringen und produzieren Unmengenen an CO2!"
Umgekehrt wird ein Schuh daraus, Wir hatten seit über 60 Jahren nie so CO2-armen Strom wie 2024. Aus wenigen Tagen eine Bilanz zu ziehen ist Unsinn. Insgesamt haben die Sonnen- und Windkraftwerke jede Menge Kohle verdrängt. Und zusätzlich die AKWs ersetzt. Nur manchmal klappt das eben noch nicht. Daran muss gearbeitet werden. Eine solche Umstellung lässt sich nicht in wenigen Jahren durchziehen und erfordert ganz neue Technologien.
3. "Der Strompreis ist so teuer wie noch nie! Harbeck tötet unsere Industrie"
Nein, der Industriestrom ist wieder auf das Niveau von 2017 zurückgegangen. Allerdings sind die Kosten andere - weniger die Erzeugungskosten als die Netzkosten. Letztere sind gewaltige Investitionen, von denen wir über Jahrzehnte profitieren werden.
4. "Wir brauchen dringend neue KKWs!"
Wie gesagt, es ist diskussionswürdig, ob die Abschaltung der AKWs zum jetzigen Zeitpunkt eine gute Idee war, und für beide Seiten gibt es gute Argumente. Grundlage war allerdings ein breiter Konsens in der Bevölkerung und im Parlament.
Neue AKWs jetzt zu bauen hilft aber niemanden. Mit 15Mrd für das jüngste französische AKW kann man statt 2 dieser Teile (3GW) schon alle benötigten Gaskraftwerke beschaffen. Die produzieren dann tatsächlich teureren Strom, aber das nur wenige Tage im Jahr. So billig ist der AKW-Strom übrigens auch nicht: allein die Abschreibungen inkl. buchhalterischer Aufzinsung bringt die Kosten in die Größenordnung von kleinen Solaranlagen (150€/MWh).
5. "Alle anderen Länder sind vernünftiger. Sie bauen AKWs statt unzuverlässiger Windräder"
Falsch. Längst sind die Zuwachsraten weltweit bei Erneuerbaren in der Größenordnung von 20% und mehr pro Jahr. Kernkraft hingegen stagniert.
6. "Mehr Windräder und Solarzellen bringen in der Dunkelflaute auch nichts!"
Das stimmt größtenteils. Will man allerdings die Elekrifizierung z.B. bei Wärme und im Verkehr deutlich voran bringen, braucht man weitere Stromkapazitäten. Und letztendlich führt kein Weg an power2x vorbei. Das wird sich mit "Überkapazitäten" an Sonnentagen oder windreichen Tagen zunehmend lohnen. Dann wird der Markt das richten.
7. "Deutschland hängt nun endgültig am Tropf der Nachbarstaaten. Ohne Stromimporte können wir den Laden dicht machen! Das ist asozial!"
Falsch. Richtig ist, dass D im Moment Nettoimporteur ist (s.o). Das ist erst seit etwa zwei Jahren (wieder) so und trifft zeitlich mit dem Abschalten der letzten Atommeiler zusammen. Aber nicht ursächlich. Kapazität wäre noch genügend vorhanden. Aber wenig Interesse. Der fossile Strom ist schlichtweg zu teuer. Der Großteil der Importe besteht aus billiger und CO2-armer Windenergie. Das ist Marktwirtschaft und erstaunlicherweise doch genau das, was die Polemiker, die grüne Politik so sehr verteufeln doch gerade wünschen... Abgesehen davon verdient z.B. Norwegen auch Milliarden durch den Export kostengünstige produziertem Strom aus Wind- und Wasserkraft.
In anderen Ländern zündet die Energiewende gerade, auch ohne staatliche Eingriffe. Wir in Deutchland haben ein gutes Stück dazu beigetragen, diese Technologien voran zu bringen, darauf sollten wir stolz sein anstatt ständig herumzunörgeln.
Pakistan zum Beispiel. Nicht vergleichbar, völlig klar. Aber bei uns wird es auch irgendwann passieren, dass allein der Preis die Energiewende zu Ende bringt.
Der Weg ist noch weit, und er ist nicht ohne Hindernisse. Aber die Energiewende ist sicherlich nicht gescheitert.
Ob die Energiekonzerne den Preis im Dezember durch künstliche Verknappung forciert haben, wird noch von der Bundesnetzagentur untersucht. Glaube ich eher nicht, eher eine Fehlkalkulation.
Dass Teile der Presse gezielt Stimmungsmache durch bewusst lückenhafte Informationen machen, scheint mir wahrscheinlich. Z.B. hier werden Zusammenhänge aufgezeigt, die den Einsatz der Springerpresse gegen Erneuerbare Energien in etwas anderem Licht zeigen: https://www.lobbycontrol.de/lobbyismus-und-klima/springer-konzern-nutzte-hauptaktionaer-kkr-den-medienkonzern-fuer-politische-einflussnahme-118529/